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Tunnelblick

„Bist du schon im Tunnel?“ -Pause-, -lange Pause- Es braucht einen Moment bis ich die Frage meiner Frau Tanja verarbeitet habe. Ja es stimmt, ich bin im Tunnel. Sich im Tunnel, bewegen bedeutet bei uns so viel, wie sich auf etwas zu konzentriert vorzubereiten. In meinem speziellen Tunnel bereite ich mich auf eine Radfahrt ungeahnten Ausmaßes vor. Soll heißen:

- Meine Nachmittage verbringe ich im Radkeller, um den Gummi in den Reifen geschmeidig zu massieren.

- Karten und Wetterberichte studieren, wann sich wo die Tür zum Erwerb von Nahrung öffnen wird oder wo ich mit offenen Regenschleusen rechnen muss.

- Haufenbildung sämtlichen Materials zur weiteren In-Formbringung für die Arschrakete

- Panisches Luftlöcher glotzen.

- etc.

 

Das ständige Fahrradfahren darf ich natürlich nicht vernachlässigen, was mich dazu verführt in der Vorbereitung auch mal rund um Luxemburg zu fahren. Mit Markus - einem Freund - durchquere ich die Eifel von Nord nach Süd, in eine 100km Runde packe ich so viele Höhenmeter wie reinpassen bzw. was vor der Haustür so rumliegt. Und auch eine Testveranstaltung mit vollem Gepäck, ganz viel Strecke darf nicht fehlen, garniert mit einer Geschichte, die erzählt werden will …

 

Testosteron liegt in der Luft

Als Radsportler mit Ultraambitionen ist die Termindichte an Rennen/ Veranstaltungen eher übersichtlich gestaltet. So ist meine Auftaktveranstaltung gleichzeitig mein einziges Vorbereitungsrennen. Es verschlägt mich nach Eupen (Belgien) im Deutsch-Belgischen Grenzgebiet. Die Nummer nennt sich Across the Three, kurz ACT3, weil wir in drei Ländern fahren werden. Die ökologisch vertretbare Anreise mit der Bahn lehne ich leider ab, da 5-6 Stunden mit dem Tuff-Tuff in keinem Verhältnis stehen zu knappen zwei Stunden mit dem Auto, vorausgesetzt ich finde den Weg im ersten Anlauf. Nun bin ich hier und bereit zur Anmeldung. Der kleinere, braungebrannte Herr verteilt Tracker und Starterbeutel. Der Aufforderung zur Vorlage eines ärztlichen Attests auf Sporttauglichkeit komme ich natürlich nach. Nur könnte ich auch mein Poesiealbum aus Grundschultagen vorlegen, denn der Moment der in Augenscheinnahme durch meinen Gegenüber ist nur ein sehr, sehr kurzer. OK, die 50€ für das Attest waren schon einmal nicht gut investiert.

Alle Hoffnungen ruhen nun auf den anderen 50% des Zwei-Mann-Orgateams. Ein groß gewachsener Belgier mit umfangreichen Erfahrungen im Ultrabereich. Kurz erläutere ich, was ich schon gemacht habe. Dann legt er mir ungefragt sein umfangreiches Palmares offen. Ohne großen Übergang kritisiert er mein Rad, die Felgen und Reifen zu schmal, die Übersetzung auch falsch, und überhaupt und sowieso. Mit der Umschreibung seiner Verletzungen, die ihn an diesem und jenem hindern beschließt er das Gespräch. Ich wische mir auf dem Weg zum Auto das Testosteron des Anderen aus den Ohrmuscheln. Im Augenwinkel bekomme ich noch mit, als der Siebtplatzierte des Atlas-Mountain-Race Samuele Tonello als Favorit für die anstehende Veranstaltung begrüßt wird. Bis in die Sprunggelenke motiviert, lege ich mich ins Auto. Auch dort ist die Luft schon raus, zumindest aus der Luftmatratze.

  

Renntag

Göffel verleihen, Damentoilette besuchen, was man halt so macht. Um zehn rollen wir an, und es geht zügig los. Nach zehn Minuten zähle ich das erste Mal durch wie viele Fahrer vor mir zu finden sind. Ein erster kontrollierender Blick über die Schulter nach zwölf Minuten, irgendwie Macht der Gewohnheit. Fünfundzwanzig Minuten sind vergangen, da verklemmt sich die Kette und Nasenbluten bringt Farbe in den Tag.

Warum die ersten zwei Stunden recht hektisch sind, erklärt sich mir nicht, doch irgendwann kehrt Ruhe ein. In einer Benelux-lastigen Gruppe mit wechselnden Mitspielern dödeln wir rund um den Rursee, ständig hoch und runter mit gelegentlichen Ausreißern für die ungepflegte Fahrtechnik. In Richtung Vossenack findet sich der Topfavorit Herr Tonello vor meinem Vorderrad ein. Der Berg stemmt sich gegen uns, ich überhole, die Kette fällt vom Blatt, zu Fuß weiter, im Laufen die Kette auflegen, wieder aufs Rad, gar nicht mal so schlecht erfreue ich mich innerlich. In Vossenack lasse ich Herrn Tonello weiterfahren, denn im hiesigen Einkaufsparadies fülle ich das erste Mal auf. Bis Gemünden bei Kilometer 105 passiert bis auf einen ergiebigen Regenschauer recht wenig. Im Netto zu Gemünden treffen meine zwei Begleiter und ich auf die Führungsgruppe. Einkaufen geht jeden was an, mittendrin das Orgateam. Nach dem Einkauf habe ich mich ca. auf Platz 6 breitgemacht und rekele mich allein der Strecke entlang nach Süden. Es passiert einfach mal so gar nichts. Die Anstiege sind steil, so dass ich selbst nach 8-9 Stunden im Durchschnitt 400 Höhenmeter pro Stunde produziere.

 

Und dann kommt Fabian

Für gewöhnlich komme ich ganz gut mit meinen Selbstgesprächen und Gedanken durch den Tag, wenn ich übertrieben lang auf dem Rad sitze. Doch in den Abendstunden gabelt mich Fabian auf. Fabian hat deutlich mehr Ultradistanzen auf der Uhr als ich, was schon mal eine gute Gesprächsgrundlage darstellt. Da die Hügel nun nicht mehr so steil sind, lässt es sich auch ganz gut quatschen. Bis ich mal wieder meinen Warenkorb füllen möchte, fahren wir zusammen. Es sind 6km extra bis zur Tanke nach Olzheim und zurück. Fabian fährt weiter, vielleicht treffen wir uns später wieder.

Später, … da ist Fabian wieder. Nach meiner dritten Einkaufstour in Olzheim braucht es ca. eine Dreiviertelstunde bis Fabian in einem Waldweg sitzend vor mir auftaucht. Die Motivation ist bei ihm auf der Strecke geblieben. In Gesellschaft wird die Fahrt einfacher. Zu unserem Duett gesellt sich dann noch ein Jäger. Erst fährt er mit Festtagsbeleuchtung ein Stück hinter uns, bis wir ihn vorbeilassen wollen. Der Beginn einer richtigen Scheißnacht.

 

Ballern

Der nette Herr von der Schiessgesellschaft fragt uns, warum wir denn mitten in der Nacht Fahrradfahren? Im Gebüsch sitzen schließlich Leute die bezahlt haben, um ein wenig auf Tiere zu ballern (meine Formulierung). Wir erklären die Umstände und rollen weiter. Bei Fabian gibt die Batterie im Schalthebel auf, was ihn dazu bewegt die Veranstaltung zu beenden. Nun bin ich wieder solo unterwegs. Nicht lange, denn da ist schon Jäger Nr. 2. Das Thema bleibt gleich, nur seine Laune ist gereizter. Wieder Diskussion und ich lerne, dass es seiner Meinung nach verboten ist in der Nacht mit dem Rad im Wald unterwegs zu sein. Es geht weiter, mein Stresspegel steigt und im Gegenzug fällt die gute Laune. Willkommen Nr.3. In einem Anstieg nähert sich langsam ein Fahrzeug von hinten, dass mir für zwei Kilometer folgt. Dann biege ich ab, er folgt mir. Als ich anhalte, stoppt er auch. Das brauche ich echt nicht. Ich gehe auf ihn zu und spreche ihn an. Er ist Förster, kein Jäger, das Ballern der anderen ist ihm egal, nur seine Laune ist noch viel schlechter als die seiner Vorredner. Seinem Hund auf der Rückbank tropft auch schon der Zahn. Zehn Minuten reden wir, dann geht es für mich weiter. Noch ein paar Meter, dann bin habe ich sein Revier verlassen. Meine Helmlampe schalte ich komplett aus, bitte nicht noch eine Begegnung.

 

LUX

Die Gedanken kreisen, so richtig bin ich nicht mehr bei der Sache. Nachdem ich Luxemburg erreicht habe, rücken die körperlichen Leiden wieder in den Mittelpunkt. Ohne zu fragen, springen mir die Steigungsprozente ins Gesicht. Nach den einfachen Kilometern auf deutschem Boden wird es jetzt konditionell und technisch anspruchsvoller. Handtuchbreite Pfade ziehen sich durch die Wälder, Absätze, Steinpassagen, die ich nur zu Fuß gehen kann. Hier und da führt eine Spur ins Unterholz. Huhu, liegt da jemand. Nichts. Stumpf stapfe ich durchs Unterholz. Wenn ich mal fahren kann, ok, muss jetzt aber auch nicht sein. In den Morgenstunden sammle ich noch einen Fahrer ein und am Waldrand kuschelt ein Teilnehmer mit dem Borkenkäfer. Nach etwas mehr als 290km ist die erste von zwei Dateien beim Wahoo durchgerattert. Ich befinde mich zu diesem Moment in einem Dorf. Ist das ein Zeichen, gibt es hier Nahrung? Nein. Ich frage einen Passanten. Der redet sich mit einem Touristendasein raus.

Nun starte ich Teil zwei der Strecke am Wahoo, packe einen Clif Bar aus und gehe die Straße bergan, bis der Clif Bar es sich im Verdauungssystem gemütlich gemacht hat. Mal wieder fehlt mir Schlaf und ein Ziel wäre auch ganz schön. So packe ich mich auf eine Bank im Wald und döse für 25min. Im Anschluss verlasse ich den Track für einen Besuch auf dem Friedhof. Keine Angst, ich bin noch nicht dran. Auch in Luxemburg wird anscheinend regelmäßig gestorben, denn der Friedhof in Kaundorf überzeugt mit Fläche und Qualität. Endlich frisches Wasser für die Flaschen. Danke Kaundorf.

 

Schluss machen

An einem langgestreckten See geht es permanent in Ufernähe hoch, runter, rechts, links, auf dem Rad, dann mal wieder schiebend. Mach ich einfach, ist mir egal. Gleichgültigkeit ist auf Langstrecken eine echt treue Seele. Dann durchqueren wir einen Ort, mein Blick erstreckt sich die Straße rauf und runter. Nix, wieder keine Einkaufsmöglichkeit. Zurück im Wald ist alles wie gehabt, nur ich will nicht mehr. Es rumpelt sich nach Belgien, die Geschwindigkeit ist in Ordnung, P6 im Ranking, nicht so schlecht. Ein ganz wunderbares mehrspuriges Asphaltband in Belgien verspricht? Wieder nix, keine Tanke, kein Supermarkt. Rechts rangerollt, die Kette braucht einen Tropfen Öl, sorry ich wachse noch nicht. Bei der Gelegenheit kontaktiere ich meine Frau. Sie schaut mal über die digitale Landkarte. Wieder nix. Ich habe noch Gel und eine Flasche, doch auf den noch ausstehenden 190 Km sollte ich noch mindestens zweimal eine öffentliche Speisekammer aufsuchen. Ein Starkregenereignis steht mir auch noch bevor in den nächsten zwei Stunden. Was tun. Ich werde wohl aufgeben. Kurze Absprache mit meiner Frau, ein Stück fahre ich noch, um wirklich sicher zu gehen, dann bin ich raus. Als ich noch XCO und Marathons gefahren bin, da hieß es immer: „Lieber tot als DNF“ Mit dieser Entscheidung im hier und jetzt bin ich fein, es gibt nichts zu bereuen. Die Diskussionen in der Nacht mit den Jägern und Förstern haben mir im Kopf zugesetzt. Die fehlenden Versorgungsmöglichkeiten haben ihr übriges dazu beigetragen. Jetzt fahre ich nach Bastogne und esse Pommes mit Mayo. Markus holt mich dann ab, denn merke: Bastogne hat keinen Bahnhof, sondern nur einen Busbahnhof (komische Welt).

 

Nach 26,5h habe ich 355km und 8500 Höhenmeter auf der Habenseite. Find ich gut. Es bleiben noch sechs Wochen bis zum großen Ereignis, und die nutze ich. Qualität und Quantität fügen sich wunderbar ineinander, so dass Anfang Juni 4.300km und 76.000 Höhenmeter meine Statistik schmücken. Das Rad ist auch auf Berge eingestellt. Von 10-fach wurde auf 11-fach umgerüstet, ein 30er Kettenblatt darf reichen, neue Pedale, Scheiben, Beläge und Reifen runden die Technikseite ab.

Und wofür das alles? Das habe ich noch gar nicht verraten. Das Hope 1000 in der Schweiz ist meine Richtschnur fürs Sportjahr. Von Romanshorn am Bodensee geht es nach Montreux am Genfer See über zarte 1000 Kilometer und verschmuste 30.000 Höhenmetern. Das wird wahrscheinlich sehr schwer. Jetzt mache ich Schluss, denn mein Zug geht in Kürze und ich muss noch packen.

 

Viele Grüße

Vom Rosenkavalier

 

Strava Eintrag

Hope 1000

Bildquelle: Fabian Wurm

 

 

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