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"Faszination" Rundstreckenrennen

 „Du sag mal, hast du die Kohlensäure aus dem Getränk geschüttelt?“ Welch eine tiefschürfende Frage an diesem mittelmäßigen Tag, denke ich mir so, als ich mich umdrehe, um mich nach dem Urheber umzuschauen. Mein Blick fällt auf eine Frau, der ich anmerke, dass ihr diese seltendümmliche Frage ihres Göttergatten (im weiteren Verlauf Ölprinz gerannt)jetzt nicht wirklich wichtig ist. Eine Etage weiter unten, wartet ihr kleines Töchterchen auf dem Roller, und auch sie denkt sich: „Mensch Papa, kriegst du auch mal was allein geregelt?“ Ein paar Meter von mir entfernt, in sicherer Entfernung zu seiner Frau, da steht er, der Mann mit den wirklich wichtigen Fragen. In schwarz gekleidet, mit verspiegelter Brille auf der Nase, checkt er noch schnell, ob der Bräunungsgrad seiner Beine und das darauf befindliche Aufwärmöl optisch eine sexy Allianz eingehen für alle Beteiligten. Herrlich, es ist Radrennen in der Stadt, die Zuschauer interessieren sich mehr so semi für das Geschehen, Radfahrer sehen das naturgemäß ganz anders und ich … ich bin auch dabei.

 

Der Streckenchef hat für 6 Uhr zum Aufbau geladen. Soweit sind alle da, nur der Chef verspätet sich. Mit blödsinnigen Höflichkeitsfloskeln mag er sich auch nicht an diesem Sonntag abmühen, drum vergessen wir das herzliche „Guten Morgen“ und wir Helfer beobachten mehr, als das wir mitmachen dürfen. Schon 20min später dürfen wir dann auch mal Hand ans Gitter legen. Merke: Der Letzte der das Gitter ausrichtet, der hat das Sagen. Und hier scheint jeder mal Häuptling spielen zu wollen.

Nächste Runde Prämienrunde, … war nur Spaß! Nach den Gittern massieren wir auf der nächsten Runde der Strecke noch den letzten Dreck aus den Poren. Soll heißen: zu dritt sind wir die neuen Praktikanten der Straßenreinigung. Mit dem Aufbauchef und seinem Kumpel geht es also erneut auf die Runde, wir kehren, die anderen beiden flattern ab, tragen den Müllbeutel und irgendwas fehlt da noch. Nur was? Ach ja, Bilder für Insta dürfen nicht fehlen und „Geil“ ist die Strecke natürlich auch. Zum Glück wird diese wunderbare Vokabel ständig wiederholt, ich hab ja so ein schlechtes Gedächtnis.

Morgens halb Zehn in Deutschland wartet für gewöhnlich das Knoppers in der Brotdose, oder wir erklären den vereinzelten Nachtschwärmern, Ahnungslosen, im Zweifel auch den ahnungslosen Nachtschwärmern den Anlass der Barrikadenkultur in der Innenstadt. So viel Mühe wir uns auch geben, keine der Senioren/-innen, die bis eben noch neugierig waren, möchte per Nachmeldung sich später den Oberschenkelhals bei einem E-Bikesturz auf nassem Kopfsteinpflaster brechen.

 

Parallel zu dieser Großveranstaltung neigt sich in Italien ein feines kleines Radrennen seinem Ende. Ich meine der Veranstalter nennt es Giro d´Italia. Heißblütige Italiener feiern dort voller Ekstase den Radsport und seine Protagonisten. Ich bin gespannt, wie ich allein in meinem Streckenabschnitt, die zu erwartenden, leidenschaftlichen Menschenmassen bändigen soll.

Gähn, ist gerade noch ruhig hier. Mit meinem Verpflegungsbeutel richte ich mich fürs erst einmal ein, das Funkgerät wird mir auch noch gereicht, als die Halbwüchsigen im Kids-Race schon um die Ecke biegen. Bei einem Großteil der Kinder ist das Rad zu klein, aber wollen mir mal nicht kleinlich sein. Es folgen die alten Masters-Fahrer, dann die nicht ganz so alten Masters-Fahrer. Beim Rennen der jungen Masters-Fahrer knackt das Funkgerät ein erstes Mal recht amüsant, mit folgendem Kommentar: „Warum starten die schon ohne Streckenfreigabe?“ Vom Feinsten, endlich Unterhaltung. Sonst ist nur wenig los. Menschen kommen und fragen wie sie in die Stadt kommen. Ein Teil von Ihnen fragt gleich mehrfach, da die herausstechenden neongelben Westen, die den Übergang in die Stadt markieren sollen, anscheinend ihrer markierenden Wirkung nicht nachkommen.

Mit dem nachfolgenden Streckenposten habe ich ausgemacht, immer mein Arm zu heben, sollten sich Fahrer nähern, so dass die Passanten sicher die Strecke queren können. Mit der Disziplinlosigkeit im Feld muss immer gerechnet werden. Da sich schon nach wenigen Runden die Starterfelder auf der Runde verteilen, komme ich fast gar nicht mehr dazu mein Arm aus den Wolken zu ziehen. Vereinzelte Fahrer, wie Passanten, sehen mich als Grüß-August und winken im Ansatz zurück.

 

Kommen wir nun zum heimlichen Höhepunkt des Tages, das Jedermannrennen. Es sind nicht nur jede Menge Männer, auch jede Menge Frauen fahren mit. Sind zwei Starterinnen schon eine Menge? Ach wer braucht schon Frauen, wenn Testosteronstiere durch die Stadt fahren und sich mit Tricks und Raffinesse … gekonnt auf die Fresse legen. Doch dazu später mehr. Zurück zu den Damen, die nur vereinzelt antreten und sonst verstärkt ihre männlichen Zweiradhelden bei ihren Streifzügen nach Ruhm und Ehre unterstützen.

Die Dame vom Beginn dieses Textes tritt im Rahmen dieses Jedermannrennens an mich heran mit der Frage, wo denn die Anmeldung ist. Sie wirkt schon in diesem Moment gestresst, was sie auch auf ihre Tochter mit dem Laufrad überträgt und sie zur Eile anmahnt. So schnell wie sie gekommen ist, so zügig spurtet sie auch zurück zu ihrem Ölprinzen, irgendjemand muss ja schließlich die Kohlensäure aus dem Getränk schütteln. Putzig. War da nicht mal was, Stichtwort Fahrerfrau!

Doch das eigentliche Renngeschehen der Jedermänner, sollte mich vielmehr interessieren. Zwei Leute verpassen ihren Start um knapp 30 Sekunden. Die Beiden hechten dem Feld hinterher, als belgischer Kreisel in der nebeneinander- Formation. Ein Starter fährt in seinem ersten Straßenrennen mit fest verbauten Schutzblech. So clever sind die Starter der noch folgenden Rennen nicht. Aus dem dichten Peloton höre ich Treuebekundungen: „Wir halten für immer zusammen.“ Radrennen ist anscheinend ein wenig wie ein Winnetou-Film, das Versprechen der ewigen Freundschaft findet auch hier seinen Platz, auch wenn die Pferde durch Fahrräder ersetzt werden. Die Spitze des Rennens hat für solche Kinkerlitzchen nichts übrig, da wird, wie man so schön sagt: „Richtig Radrennen gefahren.“ Der Rest vom Feld fährt auf Ankommen.

 

Kurz vor 15 Uhr Schichtwechsel. Ich bin eigentlich auch an der Reihe abgelöst zu werden. Im Funkverkehr wird sich rege ausgetauscht, nur ich trau mich nicht nach Ablösung zu schreien. Aber wäre schon schön, ich müsste nämlich mal. Schon seit Stunden überlege ich, ob der Baum an meinem Posten eine Option ist, aber ich trau mich nicht.

So atme ich alles weg, bleibe mindestens noch für das Amateurrennen und dann schauen wir mal. Der Ablauf ähnelt den vorangegangenen Rennen, viele kleine Gruppen flitzen um den Parcours, quietschende Bremsen, halt das übliche. Eine kleine Programmänderung gibt es dann doch, der Regen hält Einzug. Schon wird es hektisch am Funkgerät, denn speziell von den Kopfsteinpflasterstücken werden Stürze gemeldet. Schnell lassen sich die Stürze in drei Kategorein einteilen: 1. Fahrer gestürzt aber fährt weiter 2. Fahrer gestürzt (dramatische Pause) geht auch ohne Hilfe, möglicherweise 3. Fahrer gestürzt, schick mal den RTW.

Eine Frau mit ihrem kleinen Sohn beobachtet fasziniert das Geschehen auf der Strecke. Und Junior hat beim Gang in die Innenstadt noch den sehnlichsten Wunsch Fahrer stürzen zu sehen. Dann ist er bei Rundstreckenrennen genau richtig, denn hier gibt es auch Entertainment für die Kleinsten.

Die Dame vom Beginn versorgt ihren Ölprinzen vom Streckenrand aus mit Trinkflaschen. Na nicht ganz, er hat die Flasche nicht zu greifen bekommen. Das können die Beiden im nächsten Höhentrainingslager bestimmt nochmal analysieren. Nur eine Fahrerfrau kommt selten allein. Die nächste leidgeplagte Herzensdame folgt ihrem geschlagenen Amateurhelden mit Abstand, immer diese bösen Reifendefekte. Mit dem Ende des Amateurrennens hege ich nun die Hoffnung nach Feierabend.

 

Meine kurze Nachfrage bezüglich der Ablösung findet folgende Auflösung. Die Ablösung, für die Person, die mich ablösen sollte, kam nicht. Also bleibe ich als elitärer Streckenposten noch für das Eliterennen.

Nach drei Runden ist auch hier die Birne geschält. Zwei Mann sind vorne raus, der Rest fällt auf nassem Untergrund viel hin. Im Verfolgerfeld befindet man sich schon in der Fehleranalyse: „Was machst du denn da???“ Oder noch viel besser: „Du bist so ein Depp!“ Bei so viel heiterer Unterhaltung darf ich meinen eigentlichen Job nicht vernachlässigen, die Menschen von mutwilligen Begehungen des Rennareals abzuhalten. Das eine besondere Exemplar muss es aber auch an diesem Tag geben, denn dieser lustige Tu-nicht-gut möchte an meinem Posten auf die Strecke einbiegen und sich zu Fuß entgegen der Fahrtrichtung fortbewegen. Meine klare Anweisung dies zu unterlassen, erreicht ihn nicht, drum versucht er mich mit Argumenten zu bezirzen: „Ich bin schon Radrennen gefahren, ich weiß was ich tue.“ Reicht leider nicht. So fährt er nun die ganz schweren Geschütze auf, … beim Davonschleichen er schimpft leise vor sich hin und schaut mich böse an, also so richtig böse. Ein wahrlich hoffnungsloser Fall.

Mit den Ersatzlaufrädern in der Hand kommt der Ölprinz an mir vorbeigerollt. Fasziniert von dieser Emanzipation, dass er schon ganz selbstständig seinen Scheiss transportieren kann, ist auch dieses Rennen gleich ein Fall für die Rad-Net-Datenbank. Letzte Runde fehlt noch, einer schmeißt wenige Meter von mir entfernt sein Rad in den Rinnstein, nix passiert.

 

Funkgerät in die Off-Position, die Weste geht auch zurück, Feierabend. Ob in der Fußgängerzone mehr Radsportzauber zu spüren war, wie in Verona zum gleichen Zeitpunkt (Giro-Finale)? Haben leidenschaftliche Fans am Gitter die Helden in Lycra gefeiert? Die Zeitung wird es am Tag drauf wohlwollend formulieren. Aber nur bei mir gibt es den ehrlichen Einblick nach dem nicht gefragt wird und der am Ende keine Rolle spielt: Ging so! Den Sport zu den Menschen zu bringen, macht Sinn. Nur das Format mit vielen verschiedenen Rennklassen, die vom Zuschauer auch erst einmal verstanden werden müssen, verliert an Attraktivität, wenn man nach 2-3 Runden die Entscheidung schon gefallen ist. So etwas muss nicht jede Woche für mich sein.

 

Macht es gut Nachbarn

Rosenkavalier

 

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