Die Lampe schneidet ein überdimensioniertes Kuchenstück Helligkeit ins Dunkel. Sonst sehe ich gerade nix, nur Finsternis. Am Hinterrad schenkt mein Reifen gerade jede Spannung her. Defekt, so ein Mist. Es ist Drei Uhr in der Früh, irgendwo im Westerwald, meine Moral ist auf Null. Eine Umarmung wäre jetzt schön oder zumindest ein High-Five von einem Eichhörnchen. Ja ok, das wird wohl kaum passieren. Mit der Lampe in der Hand krame ich Werkzeug und Schlauch hervor und mache mich dran, den Schaden zu beheben. Im Anschluss nutze ich die Gunst der Stunde, um ein Käsebrot zu vertilgen. Käsebrot mit Cola, dabei starre ich in die Dunkelheit. Ob im dunklen Wald mir gegenüber auch Augenpaare stehen, die mich ansehen?
Vorbereitung
Mein Opa feiert 90. Geburtstag und da möchte ich gern persönlich gratulieren. Mein Opa wohnt in Thüringen, ich in Trier. Die Idee mit dem Rad die Strecke zu meistern, trage ich seit Ende April mit mir herum. Bis ich meiner Frau davon erzähle, sie mir ungläubig an den Kopf greift, um zu prüfen, ob ich Fieber habe, ist es Mitte Mai. Doch irgendwann vertraut sie mir und lässt mich machen.
Fahre ich die flache Strecke über Frankfurt mit etwas mehr als 4.000Hm oder die anspruchsvolle Verbindung mit > 5.000Hm durch den Westerwald, Hessen, Rhön und Thüringer Wald? Das Minenfeld der Pandemieregeln lenkt das Pendel auf die nördliche Route. Und dann betrete ich wenige Tage vor der ersten Kurbeldrehung den Tunnel, in dem sich alles nur um Ausrüstung, Ablauf und Nervosität dreht. In der Wohnung sammle ich sämtliche Ausrüstung zusammen, im Keller wird noch einmal final Hand am Rad angelegt. Am Montag verbringe ich immer den Nachmittag mit meinem Sohn, meine Frau muss arbeiten. Doch statt Flur-Ball mit Kollateralschäden an der Wohnungseinrichtung, tigere ich nervös um meine Ausrüstung. Neben Nervosität ist auch der Respekt vor der Strecke riesengroß und die Angst vor den Tücken der Nacht mit Verkehr und Sekundenschlaf muss ich mir auch eingestehen.
Einklicken und los
Zwanzig Uhr vierzehn drücke ich den Startknopf am Wahoo, los geht es. Zwei schnelle Stunden später hat die Sonne keine Lust mehr. Eine Unachtsamkeit meinerseits, schickt mich eine Abfahrt runter, die ich gar nicht fahren wollte. Ein zusätzlicher Anstieg bei Plünderich bringt mich mit Zeitverzug zurück auf Kurs. Stück für Stück baut die Temperatur ab, die Anzahl meiner Kleidungsstücke nimmt zu. In Ediger-Eller tausche ich flache Mosel-Kilometer gegen eine lange Steigung ein, meine Zeitplanung hinkt schon. Wenn ich im Vorfeld Angst hatte vor den Gefahren, die vom Verkehr ausgehen in der Nacht, war dies unbegründet. Einsamkeit beschreibt die Stunden auf dem Rad durch die Nacht am treffendsten. Selbst in einer großen Stadt wie Koblenz genießen Menschen auf der Straße in der Nacht Seltenheitswert. Dann fahr ich auch noch winziges Stück auf der Kraftfahrstraße, was mir tagsüber eine Erwähnung im Radio bringen würde, aber zu so dunkler Stunde keinen Kritiker hervorlockt.
Guten Morgen
Zwei spürbare Kontakte der Felge mit dem Untergrund bescheren mir den Defekt. Das hatten wir bereits zu Beginn. Die Pause kallibriert den Kopf neu. Ob Nacht oder Tag tangiert mich nun nicht mehr. Auch das Thema Müdigkeit war einmal. Über Wiesen und Felder oder durch Wälder schlängelt sich mein Weg raus aus dem Westerwald hinein ins Lahntal. Kenn ich. Zu Studienzeiten in Gießen erlebte ich Grundlagentraining flussauf- und flussabwärts an der Lahn entlang. Alles noch da, sogar die buckligsten Radwegabschnitte erkennt mein Hintern wieder. Hatte ich mir unterwegs schon klangvolle Textzeilen für meinen Bericht überlegt wie z.B. Käsebrot in Koblenz und Fritten zum Frühstück, muss ich mir spätestens beim Bäcker in Wetzlar neue Wortspielereien zurechtlegen. Nach 11 Stunden packe ich die erste Hälfte der Wegstrecke zu Opa´s Geburtstag auf die Habenseite. Als nächstes folgt „die Perle an der Lahn“- Gießen. Gefühlt mit Autopilot geht es durch die City und die Erinnerungen an mein Studentenleben laufen im Einklang aus Dünsberg, FH und Lüli im Hintergrund.
Quer durch Hessen
Die Lücke zwischen Gießen und dem nächsten Zwischenziel Fulda nennt der Eingeborene VB-Land (Vogelsberg-Kreis). Schöne Gegend mit Straßen und Wegen, die ich mehr als einmal in meinem bisherigen Leben unter den Rädern hatte. Warm gestaltet sich der Vormittag, was mir speziell von B2 (Bobenhausen II) nach Ulrichstein ein paar Körner kostet. Von da oben rollert es sich überwiegend bis nach Fulda. Wieder ein Haken gemacht.
So halb um Fulda rum und etwas mitten durch, gelange ich an eine ehemalige Bahntrasse, die schon seit Jahren als Radweg nach Hilders fungiert. Im Windschatten der Steckdosenradler versuche ich Kräfte zu schonen, was aber nur zu Zeitverlust führt. Also über Schotterwege die Radwegschleifen abkürzen. Ein Schiebestück zurück auf den Radweg sorgt für Abwechslung im Bewegungsapparat. Eine Dame mit E-Bike muss da auch hoch. Ihr Gesichtsausdruck zeugt von Ratlosigkeit!
In der Rhön ist´s schön
Von Hilders in der Rhön, geht es stramm hinauf zur ehemaligen innerdeutschen Grenze. Und ich fühl mich gerade nicht so. Zwei Jugendliche sehen mich im gemächlichen Tempo bergan vorbeifahren. Wie soll ich ihre offenen Münder nur deuten? Sieht man mir die 350km an? Oder wirke ich äußerst souverän bei dem was ich gerade so mache?
Meine geplante Ankunftszeit gegen 15 Uhr werde ich nicht halten. Dank meiner Frau erfährt mein Opa von meinem Besuch, so kann er sich darauf einrichten. So gesehen bin ich unpünktlich, nur das mein Ruf mir vorauseilt. Drei schwere Anstiege stehen mir laut Komoot noch im Weg. Immer der direkteste Weg, garniert mit Graveleigenschaften. Warum lerne ich es einfach nicht? Auf gut deutsch: Der erste von drei Anstiegen ist so steil, dass ich zu Fuß gehe. Kaum in Meiningen ankommen, geht es aus dem Kessel steil raus. Ich passiere eine Wohngegend mit Altbauten, steige auf Gravel bergan, lasse einen Friedhof links liegen, würde gern ins Freibad, doch Krampfansätze hinauf Richtung Autobahn garnieren meinen Tag. Und wieder runter ins Tal.
Rennsteig was my first love
Die Füße schmerzen, zum entspannten Sitzen fehlt mir etwas der Muskeltonus im Hintern, zugegeben ich tu mir gerade selbst leid. Von Rohr nach Suhl ist nicht wirklich weit, wenn … . Ja wenn der Tag nicht schon Länge hätte. Suhl macht keinen Spaß mit dem Rad. Irgendwie schaffe ich es durch die allgemeine Verkehrshektik des Nachmittags zum letzten langen Stieg, bevor ich Opa treffe. In Goldlauter lockt mich ein kleiner, schmaler Pfad rechts weg. 40-40, kleinster Gang, nicht gut! Es geht gleich mit Steinen los, die übereinandergestapelt ins Erdreich gedrückt eine unangenehme Rampe formen. Wohin ich auch trete, meine Beine stellen nur das Mindestmaß an Watt zur Verfügung, um nicht umzukippen. Noch ein kurzer Fußmarsch, dann wieder fahrend sehr steil, etwas moderater, und dann, ja dann eine Lichtung. Das muss er sein, der Rennsteig. Am Mordfleck angekommen, werfe ich einen Blick über den Baumwipfel hinein in die Landschaft, wo meine Wurzeln liegen. Jeder Schweißtropfen der letzten Stunden ist vergessen, leicht und beschwingt flitze ich gen Tal. Durch Manebach, den Ort in dem ich aufgewachsen bin. Fix durch Ilmenau mit Autopilot, hier braucht es keine Navigation mehr, Heimat. Noch zwei Kilometer bis zu Opa. Etwas mehr als 22 Stunden sind seit dem Start in Trier vergangen, als ich endlich vor seiner Tür stehe. Unfassbar, das hat wirklich geklappt, denke ich bei mir.
Endlich da
Da öffnet sich die Tür, eine Bekannte meines Opas lässt mich eintreten. Opa schaut mich mit großen Augen an „Du bist doch nicht ganz gescheit.“, empfängt er mich. „Du hast gesagt, ich soll nicht extra mit dem Auto kommen.“, entgegne ich ihm und gratuliere. Wir plaudern, reden über dies und das, Sachen die nicht in diesen Text gehören! Ich verspüre in diesen Minuten keinerlei Müdigkeit, mein Rad ist gerade ganz weit weg, auch wenn es nur im Flur steht. Es tut gut persönlich zu gratulieren, und auch für ihn scheint es von Bedeutung zu sein, dass ich auf nen Sprung vorbeischaue. Nach dem Kindergartenchor am Morgen ist mein Besuch ähnlich überraschend für ihn. Eine halbe – dreiviertel Stunde später ist mein Besuch auch schon beendet. Für meinen Opa sind solche Tage sehr anstrengend, was mich nun zum Rückzug bewegt, aber ich komme ja wieder.
A biss´l was geht immer
Was tun mit dem angebrochenen Abend? Ne Runde Radfahren wäre ja ganz nett. Kurz zur Tanke, dann noch nach Oehrenstock, da könnte ich noch etwas Luft für meinen scheinbar schleichenden Hinterreifen bekommen. Ungläubigkeit scheint bei meinem Anblick in diesen Stunden stark im Trend zu liegen. Thomas, ein Freund aus radsportlichen Anfangstagen versteht es auch nicht, was ich so treibe, unterdessen er mir Luft und einen Tropfen Öl spendiert.
Über eine Schotterpiste führt mich mein Weg zum Dreiherrnstein, gefolgt von Asphalt bis zum Rondell bei Oberhof. Bis morgen Nachmittag will ich zu Hause sein, wenn meine Frau arbeiten geht. Am Grenzadler dem Wintersportepizentrum Thüringens, wickle ich mich wieder in die langen Klamotten. Bei Einheimischen erkundige ich mich nach dem aktuellen Stand über die Ausgangsbeschränkungen im Landkreis. Nicht viel Erhellendes erfahre ich, nur das Einzelsport erlaubt ist, oder so. War einer der Befragten gerade Axel Teichmann (ehemaliger Weltklasse Langläufer und Olympionike)? Eine Frage, die mich auf der langen Abfahrt nach Oberschönau auch nicht warm hält. Bergauf, kalt, dunkel und zu lange auf dem Rad bescheren mir eine große Müdigkeit.
Mein Blick hält Ausschau nach einem ruhigen Nachtlager im Wald. Nach einer weiteren hoffentlich letzten Gegenwelle an diesem Tag, bin ich in Schmalkalden angekommen, ganz toll. In der Stadt ein Nachtlager zu suchen, spare ich mir. Mein Radcomputer weist mir den Weg, doch die Baustelle, dort wo ich lang will, sagt nein. Keine Lust wäre gerade noch geprahlt. Nach müde kommt blöd und ich laufe um meinen Radcomputer rum, um die Route aus dieser Stadt heraus zu finden. Gefunden. Dann noch 3-4 Kilometer, rechts weg, Schlafplatz suchen.
Biwak trifft Anfänger
Es ist dunkel, sehr, sehr dunkel, nicht ungewöhnlich für die Nacht in Mitteleuropa. Erst fahre ich, dann laufe ich und jeder Ast, jeder Baum sieht aus wie eine gemütliche Bank. Dann endlich mein Hotel Adlon mit Präsidentensuite für diese Nacht. Das Vereinsheim vom FSV 06 Mittelschmalkalden hält zwei verlockende Bänke für mich parat, sogar mit Überdachung. Keine Isomatte, kein Abendessen, keine Ahnung, wie schlimm diese Nacht werden wird. So schnell wie ich wegschlummere, ist mir gerade alles egal. Kurz vor 5 Uhr am Morgen zerrt mich die Morgendämmerung hinein in den neuen Tag. Mein Biwaksack kann sicherlich vieles, nur nicht gemütlich. Der Rasenmäher-Roboter mäht monoton surrend die Fußballwiese, ich sitze zitternd vor Kälte beim Frühstück mit Eiplätzchen und Fanta. Von wollen kann in diesem Moment keine Rede sein, aber der Zug wird mich nicht abholen.
Nur noch heim
Es sind nur etwas mehr als 100 Kilometer, die mich vom Bahnhof in Alsfeld trennen. Einhundert furchtbar langsame Kilometer auf überwiegend befestigten Strecken. Bis Buttlar ist alles neu. Mitunter auch recht hübsch anzusehen, die Landschaft rechts und links der Lenkerenden. In Hessen kommen einige bekannte Radwegabschnitte, bevor ich die letzten Hügel bis Alsfeld runterzähle. Bis auf die übriggebliebenen Müsliriegel vom Vortag, hat mein Magen noch nichts gesehen, was den Namen Nahrung wirklich verdient. Gummibären und Chips von der Tanke in Alsfeld, umspült mit Cola machen es nicht besser. Der Zug ist erreicht, die Maske sitzt, jetzt läuft der Film vom Vortag rückwärts. Viele Ortschaften und Städte, die ich noch am Vortag mit dem Rad gesehen habe, befahre ich nun in Richtung Trier. Unglaublich, wie weit das alles ist und wie lang die Fahrt andauert.
Schmerzende Beine, die Sonne auf der Haut, die Einsamkeit in der Nacht, alles Emotionen und Erinnerungen, die gefühlt nur wenige Momente zurückliegen. Wie so oft nach solchen Ausflügen, erschrecke ich auch ein wenig vor mir selbst und den Strapazen, denen ich mich freiwillig aussetze. Warum nur? Dieser Moment, wenn die Strecke hinter mir liegt, die ich ganz ohne Zwang oder Verpflichtung freiwillig absolviert habe, dieser Moment ist kurz und intensiv. Alles Negative blende ich dann aus, einzig die Freude und Genugtuung am Geleisteten erfreuen mich. Es ist schwer zu beschreiben, einfach mal selbst erleben.
In Trier angekommen brauche ich noch knapp 5km bis nach Hause. Ein Kühlschrank neben dem Bett wäre jetzt gut. Nur schlafe ich schon fast unter der Dusche ein. Das wilde Leben auf zwei Rädern gegen das zivilisierte Leben wieder einzutauschen, ist schon schön. Und trotz aller Anstrengungen empfand ich es als Glück meinem Opa zu seinem Geburtstag persönlich zu gratulieren. Und was bin ich froh, dass Opa nicht im Winter geboren wurde und in Görlitz wohnt.
Beste Grüße vom Rosenkavalier
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Blang Christian (Freitag, 02 Juli 2021 13:05)
�Schöne Tourbeschreibung.
Grüße Chris
Mark (Sonntag, 04 Juli 2021 07:01)
Görlitz ist eine sehr schöne Stadt und hat auch einen Bahnhof.