Regentropfen ergießen sich über meine Notizen, das Gras kitzelt die nackten Waden und aus dem Hintergrund höre ich eine nach Betroffenheit lechzende Stimme – „Markus hat Rahmenbruch!“ Erschüttert blicke ich mich um und sehe den Vertreter des Teams Texpa Simplon, wie er am Telefon das eben ausgesprochene unverzüglich wiederholt. Ein herzliches Lachen kann ich mir in diesem Moment nicht verkneifen, nur bin ich in diesem Wald wohl der einzige Spaßgeselle, dem es so geht. Markus K., seines Zeichens zweifacher deutscher Meister auf der Marathon Langstrecke, rollt fünf Minuten später mit dem Plastewrack an Verpflegungsstelle Nummer 2 und schubst das Stück Sondermüll gekonnt ins Buschwerk. Doch Vorsicht ist geboten, Plastikmüll im Wald entsorgen ist nicht die gute Kinderstube, Greta hätte was dagegen, ich übrigens auch. Aber herrlich diese Emotionen. Nach Markus Bauers vergeblichen Motivationskünsten aus dem Jahr 2015, als er seine Betreuer mit folgenden Worten beim Radwechsel zur Eile zu mahnen wollte: „Wir sind so Hobby“, hat Markus K. mit seinem simplen Simplonschubs sofort Platz zwei errungen in meiner Hitliste „Profis bei der Arbeit“.
Doch in welcher Baumplantage befinden wir uns an diesem Frühwintertag eigentlich. Es ist Samstag, der 8. September, Vulkaneifel, es regnet von Zeit zu Zeit und an diesem Tag wird Rad gefahren. Mit der Austragung der 16. Deutschen Meisterschaft wurden die Ausrichter des Vulkan Bike Marathons in Daun beauftragt. Einer muss es ja schließlich machen. Meisterschaften sind nach meinem Dafürhalten die wichtigsten Rennen im deutschen Rennkalender für Lizenzfahrer. Doch bei Marathon Meisterschaften bekomme ich schnell den Eindruck, dass es sich hierbei um das unwichtigere Rennen neben der XCO-DM handelt. In etwa wie die Schwiegermutter, die zum Kaffee trinken vorbeikommt. Sie ist halt da, aber ohne sie wäre es auch ganz nett. Die Marathon DM läuft so nebenbei, eingequetscht zwischen internationalen Veranstaltungen, irgendein Rennen ist halt immer wichtiger.
Bei der Suche nach dem passenden Veranstalter stellt sich mir auch die Frage: Warum gerade Daun. Die Berge und Hügel rund um das Eifel-Städtchen sind ganz allerliebst, doch der Kurs mit seinen 101km, den angegeben 2.300 Höhenmeter und dem fehlenden technischen Anspruch, machen die Meisterschaft nicht sehr selektiv und auch noch viel zu schnell. Mehr als vier Stunden Fahrtzeit sollten die angehenden Meister schon mitbringen, alles andere ähnelt mehr einer stattlichen Mittelstrecke. In Kirchzarten im Vorjahr waren die Eckdaten deutlich kräftiger bemessen, auch wenn der technische Anspruch dort ebenfalls dünn vertreten war.
Doch leidenschaftliche Zuschauer können ein Rennen um Meisterschaftsehren noch einmal aufwerten. Aber auch hier hatte Daun wenig Ekstase am Streckenrand zu bieten. Sind die Menschen in der Eifel zu unterkühlt oder fehlt es der Veranstaltung an Attraktivität? In meiner Zeit als aktiver Fahrer oder als Betreuungspersonal am Streckenrand, durfte ich neun Meisterschaften aus nächster Nähe erleben. Größere Ansammlungen von Schlachtenbummlern konnte ich nirgendwo erleben. Mit dem EBM in Seiffen oder dem P-Weg Marathon in Plettenberg gibt es Veranstaltungen, die die streckenweise Eskalation am Flatterband schon traditionell im Fahrplan haben. Es wäre mal an der Zeit den Sportlerinnen und Sportlern einen würdigen Rahmen für ihre Meisterrennen zu bieten.
Doch neben den generellen sportlichen Fragestellungen ist so ein Tag auch geeignet Freunde und alte Wegbegleiter erneut zu treffen. So schnackt es sich ganz angenehm im Nieselregen während im Hintergrund ein Penisträger versucht das Wärmedämmverbundsystem des ortsansässigen Kinos mit dem ihm zur Verfügung stehenden max. Druck durchzuurinieren. Manche Sachen ändern sich niemals. Kurz vorm Rennen ist es ein Muss noch einmal zu müssen, egal ob ans Kino, in die Fußgängerzone oder aufs Blumenbeet, Guerillapinkeln überall.
Und dann ist er da, eine Person in führender Funktion aus meinen längst vergangenen Teamzeiten. Die Arme ausgebreitet einem angedeuteten High-Five kommt er auf mich zu. Aber nein, so beliebig bin ich nun wirklich nicht und schicke diesen menschlichen Irrläufer mit „Nein Danke“ zurück in die Schmollecke. Bei Stefan „Dano“ Danowski erhalte ich noch eine Signatur in sein literarisches Erstlingswerk „A Bikers Diary - Von einem der auszog das Fürchten zu lernen“ und weg bin ich zu TF 1-4.
Vier Technik- und Verpflegungszonen, garniert mit einer ausgewogenen Sammlung von Trinkbehältern für drei ausgewachsene Radsportasse zieren meinen Vormittag in den Hügeln der Eifel. Mit dem Fahrzeug gleich in Fluchtrichtung geparkt, grüße ich BDR Kommissäre und bitte mit der Chipkarte des Vertrauens um Einlass zu den Schauplätzen, wo erwachsene Menschen wieder zu Flaschenkindern werden.
An diesem Tag lerne ich, dass die größten Fans hin und wieder auch etwas kleiner ausfallen, so wie dieser zweijährige Peter Herrmann Ultra. Peter Herrmann, für alle die ihn nicht kennen, hat
Beine mit denen er die AIDA Flotte allein durchs Mittelmeer bewegen könnte, ohne umfangreiche Mengen an CO2 dabei zu produzieren. Dieser kleine Riesenfan knabbert an seinen Keksen und fordert im
Minutentakt nach seinem Idol „Wo ist Peter?“. An zweiter Stelle seiner Sympathierangliste folgt Peters Teamkollege Matthias F., aber dann gleich wieder Peter. Und Peter, er liefert und liefert.
An Verpflegung 3 fährt Peter die zehnköpfige Spitzengruppe von vorn. Seine Begleiter folgen ihm in der Furche, die er in die Eifel gepflügt hat. Am Ende ein verdienter vierter Platz
Ich für meinen Teil hinterfrage die Sinnhaftigkeit, wenn Fahrer in der Verpflegungszone bei leicht erhöhter Geschwindigkeit eine zweite und dritte Reihe aufmachen. So fotografiere ich mit links, während ich mit rechts durch die Trikotaschen der anderen meinem Fahrer seine Iso-Brause in die Hand drücke. An diesem Tag werden trotzdem alle meine zu verpflegenden Sportler sitt, satt und drum herum.
Und dann kommt der letzte Verpflegungsposten, an dem es sich lohnt, die schnellsten Damen Deutschlands staunend bei der Arbeit zu beobachten. Doch vor den Mädels drängt sich noch ein grau melierter Herr im violetten Jäckchen ins Blickfeld. Bedächtig öffnet er die Laufradtaschen, prüft den Luftdruck, aber alles schön langsam. Er pumpt das Hinterrad nach, prüft erneut den Luftdruck, er hält kurz inne. Dann zückt er noch das Telefon für ein Bild an die Instagram Fans von Tune-Laufrädern. So geht das also, Materialpflege und Onlinemarketing im „Cobra 11 Tempo“, echt ne Wucht. Dem Gesichtsausdruck nach zu gehen, war es für den Betreuer neben mir genauso wie für mich, Testbild in Zeitlupe. Danke lieber Profi.
Und dann ist schon alles vorbei. Im Zielbereich macht der böse Konjunktiv mal wieder die Runde. „Der Reifendruck war um 0,1 bar zu hoch, sonst wäre es bestimmt das Podium geworden“, ist schon mal eine Möglichkeit. „Wären die anderen nicht so schnell gefahren, dann hätte ich mir nicht das Ohrläppchen verkühlt“. Und, und, und. Immer wieder dasselbe, Lamentieren, Ausflüchte suchen, Jammern, ein Füllhorn an Möglichkeiten, das da von Sportlern hingeschwurbelt wird, zur Relativierung des persönlichen sportlichen Abschneidens. Die von mir betreuten Aktiven sind mit sich und ihrer Leistung im Reinen, alles gut.
Etwas noch. Wenn sich so viel sportliche Fachkompetenz, wie bei einer Deutschen Meisterschaft im Laubwald zum Flaschentauschen zusammenfindet, dann darf ich doch erwarten, dass dann auch aufgehende Sterne am Radsporthimmel registriert werden.
Ein Beispiel: Nehmen wir an, eine junge Dame, wir nennen sie Selma, fährt ihre erste komplette Rennsaison, gleich mit Lizenz und auch ihre erste DM. Dass sie sechzehn Monate zurück nach einem schweren Verkehrsunfall noch nicht an Radrennen zu denken vermochte, sei an dieser Stelle nur ganz nebenbei erwähnt. Sie hält sich lange in der Spitzengruppe auf und bringt schließlich einen neunten Platz über die Ziellinie der DM in Daun, natürlich nur rein theoretisch. So liebe Teamchefs, sportlichen Leiter, Schiffsschaukelbremser oder wie ihr euch auch immer nennt, wäre das nicht die ideale Ergänzung für euer Team? Werft mal ein Blick in die Ergebnislisten und schaut mal, ob ihr eine Selma dort findet. Und dann, wenn ihr fündig geworden seid, gebt der jungen Dame ganz praktisch einen Teamplatz in euren Reihen. Klingt einfach, ist es auch.
Beste Grüße
Rosenkavalier
PS: Das alles was hier geschrieben steht, verändert nicht die Welt und beschäftigt sich nicht mit den Problemen im wahren Leben neben dem Radsport. Als die sportlichen Entscheidungen bereits gefallen sind, erfahre ich von einem tragischen Unfall, der das Leben des Betroffenen und seiner Familie schwer verändert.
@Bernd: Als deine Tochter mir von deinem schweren Unfall und den Folgen erzählt hat, war ich fassungslos. Ich weiß noch immer nicht, was ich schreiben kann, das dir hilft. Es tut mir von Herzen Leid für dich und für euch. Und ich wünsche dir, dass deine Genesungs- und Rehabilitationsprozesse zügig voranschreiten. Gruß Uller
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Selma (Sonntag, 29 September 2019 10:30)
Das geht runter wie Butter, lieber Uller! (An einem Sonntagmorgen mit großer Portion Müsli im Bauch, auf dem Sofa sitzend und gerade keinen Gedanken an Sport verschwendend)
Danke!
Michael (Sonntag, 29 September 2019 12:54)
Schon mal wieder was von dir zu lesen. Leider triffst du die aktuelle Situation auf den Punkt.