Es war aufregend, elektrisierend und am Höhepunkt viel zu schnell vorbei.
Im Frühjahr des Jahres 1999 stand mir der große Tag bevor. Es war sozusagen meine Premiere. Viel hatte ich in der Vergangenheit schon darüber gelesen. Es waren Worte wie „verkrampft“, „unspektakulär“ oder aber einfach nur „schmerzhaft“, die mich immer nervöser werden ließen, je näher dieser besondere Tag rückte. Das wollte ich natürlich auf keinen Fall so erleben. Es sollte ein lang andauerndes Erlebnis mit vielen unvergesslichen intensiven Momenten werden, das mir noch lange im Gedächtnis bleiben sollte. Mein erstes Mal sollte etwas ganz besonderes sein!
Der ominöse Tag rückte immer näher und näher. Am Vorabend des 2. Mai war ich endlich bereit. Meine Vorbereitungen waren recht zügig abgeschlossen. Nach dem wiederholten Studieren der einschlägigen Literatur, der Wahl der passenden Garderobe, packte ich noch ein wenig Geld und ein paar persönliche Dinge ein. Im Morgengrauen des nächsten Tages wurde ich abgeholt. So intensiv wie die ersten Sonnenstrahlen an diesem Sonntag im Mai vom Himmel brannten, so inbrünstig loderte auch das Feuer der Leidenschaft in mir. Ich konnte es kaum noch erwarten, endlich wollte ich dieses Damoklesschwert der Jungfräulichkeit von mir weisen. Wir näherten uns langsam unserem Bestimmungsort, aus dem Radio flüsterte Britney Spears „… Baby One More Time“, der Motor verstummte und wir waren angekommen. Ich öffnete die Tür und war bereit für … mein erstes Mountainbike- Rennen.
Angekommen waren wir im Zeitzgrund, gelegen im Thüringer Holzland, nahe dem Hermsdorfer Kreuz. Zugegeben, kein Ort an dem großen Karrieren ihren Ursprung finden, aber ich musste nehmen was kommt. Wir starteten mit einer Rundenbegehung. Es entzieht sich meiner Kenntnis, warum wir damals so gut zu Fuß unterwegs waren. Es dauerte jedenfalls einige Rennen bis wir dieses lästige Ritual abgeschüttelt hatten.
Nur sechzehn Sonnenauf- und -untergänge zuvor, hatte ich mein erstes richtiges Rad für diesen sporthistorischen Moment in Empfang genommen. Es war ein schönes Rad, ein blau-gelbes Scott G-Zero mit einer polierten Schwinge, welches sich am 16.04.1999 aus dem Radkarton schälte. Ein wahres Heiligtum aus Aluminium, mit dem ich zu Weltruhm radeln wollte.
Und dann stand ich da so rum am Ende des Starterfeldes. Mehr und mehr Schaulustige beäugten mein Zweirad neuster Bauart. Zu meiner persönlichen Enttäuschung, entfachte mein Rad mehr Aufmerksamkeit, als mein jugendlicher Körper. Anzunehmen ist, dass dies auf die Kleiderwahl zurückzuführen war. Der Phantasie wurden hier klare Grenzen gesetzt. Ich trug eine knielange Hose und ein neutrales Gore Trikot, mehr konnte mein Kleiderschrank mir nicht in den Turnbeutel packen. Meine Füße schmückten klassische weiße Tennissocken, umgarnt von grau/grünen Lake Schuhen. Dazwischen spielte sich Dramatisches ab. Undefinierte Beine, eines links, eines rechts und zum damaligen Zeitpunkt noch umschlossen von einem weichen, flauschigen Fell. Zum Kopfschutz stülpte ich mir eine blaue Nussschale, aus dem Hause Bell, über.
Der Startschuss rückte stetig näher und proportional dazu stieg auch meine Nervosität. Nach dem Ertönen des Start-Pengs wurden, in den ersten Reihen Vortrieb erzeugt, unterdessen ich ganz hinten, als Wurmfortsatz des Feldes, gekonnt ins Pedal strauchelte. Auf der ersten, etwas verkürzten Runde legte sich allmählich die Aufregung und ich überholte die ersten Konkurrenten. In der Abfahrt spielte ich meine komplette Unfähigkeit aus und ließ einige Fahrer gewähren. Ahnungslos, wie ich in meinem jugendlichen Gemüt nun einmal war, stürmte ich den nächsten Anstieg mit allen mir zur Verfügung stehenden Mitteln empor, um in der nächsten Abfahrt desorientiert rechts ranzufahren und meine Mitstreiter vorbeizuwinken. So ging es weiter, ich mühte mich, doch irgendwie gelang es mir nicht, eine befriedigende Leistung abzuliefern. Ich bestätigte mehr oder weniger die Eindrücke der Proberunde, als ich mit ersten Versagensängsten und fragwürdigen Fahreinlagen bei meinen Vereinskollegen Stirnrunzeln verursachte. Nach gut einer halben Stunde wurde im Dunst vom Bratwurstnebel die Zielflagge gewedelt. Es war geschafft, wahnsinnige zweieinhalb Runden, mit ca. neun Kilometern, hatte ich zu Beginn meiner Laufbahn auf die Habenseite geschaufelt. Mit Platz 18 landete ich im Mittelfeld, was zur Folge hatte, meine Zukunftspläne noch einmal zu überdenken. Zum damaligen Zeitpunkt war ich noch der Auffassung nach wenigen Rennen in der Hobbyklasse, direkt in die Lizenzklasse durchzumarschieren, um mir noch im selben Jahr, vielleicht auch ein Jahr drauf, Edelmetall bei internationalen Meisterschaften umhängen zu lassen. Diese Seifenblase war allerdings ein gebrechliches Gebilde, das in den Nachmittagsstunden dieses schönen Tages der Vergangenheit angehörte.
Als die Heimfahrt in vollem Gange war, blätterte ich angestrengt durch die Ergebnislisten. Mir fiel auf, dass ich in der falschen Altersklasse meine Premiere gefeiert hatte. Dem mittelalten Herrn an der Anmeldung war es nicht aufgefallen und ich, scheu wie ein Reh, traute mich nicht Anspruch auf die schnellere Klasse zu erheben. Ich ließ die Sache auf sich beruhen und lernte mit dem Makel des Sportbetrugs zu leben. Als ich meine Mitstreiter im Auto fragte, „Wie war ich denn?“ ging man nicht näher auf mich ein. Doch ich wusste für mich „Nur beim ersten Mal tut es weh“, denn schon sieben Tage später gab es die nächste Gelegenheit zu glänzen, mit demselben ernüchternden Ergebnis. Alles egal, ich war von diesem Tag an ein Rennfahrer und Britney sang in Dauerschleife für mich „… Baby One More Time“.
Text: Rosenkavalier
Bildquelle: Privat
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