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Hope ist nur einmal im Leben Teil 1/3

 Gerade noch umschmeicheln die letzten Spaghetti Bolo für 24 Schweizer Franken meinen Gaumen. Da denkt sich mein zarter Körper: „Ich will mehr!“  Doch da tritt Willi schon vor die Gemeinde, mit der Absicht die Gedanken aufs Wesentliche zu lenken. Willi ist Gründungsvater, Schutzpatron und Teilnehmer bei seinem eigenen Rennen, dem Hope 1000. Das Hope 1000 ist ein Mountainbike Ultradistanzrennen oder doch eine gemeinschaftliche Ausfahrt von Romanshorn am Bodensee nach Montreux am Genfer See? Charmante tausend Kilometer und 30.000 Höhenmeter sollen uns den Weg zwischen den Seen versüßen.

 

Bei allem, was ich an diesem Abend aufschnappen durfte, habe ich folgende Aussagen von Willi mitgenommen.

-    - „Ihr werdet mehr Kühe treffen als Menschen.“ Klingt beim ersten Zuhören verrückt.

- „Die größte Gefahr in der Schweizer Natur sind nicht der Bär oder der Wolf, es sind die Zecken, die im Gras lauern.“ Aus diesem Grund sollen wir uns nicht in die Wiesen werfen und stattdessen mögliche, notwendige Geschäfte in der Mitte der Straße zur Durchführung bringen. 

-      - „Wenn wir das Ziel in Montreux erreichen, dann wird eine hüpfende Nadel auf einer digitalen Karte die Belohnung sein für das, was wir erlebt haben, … mehr nicht.“

 

Ich muss zugeben, die große Überzeugung für dieses Rennen fehlte mir in den Tagen vor der Abreise. Hätte mir jemand einen Grund gegeben nicht anzureisen, wer weiß, vielleicht hätte ich zurückgezogen. Doch seit der Abreise aus Trier, über den Tag hinweg, bis zu diesem Kennenlernen am See habe ich die Zuversicht hier richtig zu sein dann doch noch gefunden. Mit verantwortlich für meinen Stimmungswechsel ist auch Dominic, denn ich bin nicht allein unterwegs. Dominic ist ein Freund aus Trier, er hat sich auch ein Finish beim Hope ins Pflichtenheft notiert. Er hat die Erfahrung von einem 2/3 Hope aus dem Vorjahr, das er krankheitsbedingt vorzeitig beenden musste. Als Einzelfahrer gehen wir das Hope an. Wo wir am Ende rauskommen, bleibt erst einmal offen.

 

Sektor 1 - Aufklärung - 99,47 km, 1593 Hm 

N+1, diese Regel sollte durchaus bekannt sein in Radsportkreisen. Doch nicht allein auf die Anzahl der Räder, die Frau oder Mann besitzen sollen, findet diese Regel Anwendung. Auch die Anzahl meiner Toilettengänge vor den großen Momenten im Radsport fußt auf N+1. Einmal ist toll, zweimal ist toller. Nur ich bin schon fertig eingekleidet, Dominic kann auch nicht mehr warten. Egal, die nächste Sitzung ist die alles entscheidende Sitzung zum Glück. Nun darf ich zwar allein zum Start rollen, doch das war es wert. Gestartet wird ab 6:00 Uhr im Minutenrhythmus, immer drei Furchtlose gemeinsam. Dominic 6:16 Uhr, ich 6:18 Uhr. Nach 200m habe ich Dominic aufgefahren. Er musste am Bahnübergang warten. In Deutschland wäre, das nie passiert, da sorgt die DB schon dafür das nichts kommt.

Aller Anfang geht irgendwo mal los und wir steigen mit vielen sanften Kieswegen in einer geschmeidigen Hügellandschaft ein. In diesem Sektor wird schon einmal grob vorsortiert und so kommt es vor, dass wir in größeren Gruppen durch den Kanton Thurgau toben. Dominic schmiegt sich Dank Lenkeraufsatz in sein Rad, ich hänge wie eine Schrankwand in Eiche Rustikal mit ausreichend Wind auf der Brust überm Rad. Irgendwo nach 30-40 Kilometern werden wir von zwei überaus schnellen Fahrern abgestellt. Kurze Frage ans Kleinhirn: „Wollen wir folgen?“ Klare Antwort: „Nein!“ Einer der beiden wird das Hope gewinnen, Grüße gehen raus. Ich zähle viele giftige Hügel, doch es lässt sich sehr gut verwalten mit einem diskreten Krafteinsatz. Nach zwei Stunden mischt der Sommer mit, es wird stetig heißer. Nach zwei Drittel des ersten Sektors ist der Spaß fürs erste vorbei, aus dem Örtchen Felben geht es rauf zum Schloss Wellenberg. Der Tacho meldet dunkelrot bei den Steigungsprozenten und ich merke, wie die Schweißtropfen vom Lenkerende auf den Asphalt plumpsen. Zu diesem Zeitpunkt fange ich bereits an mit mir selbst zu reden: „Bleib ganz bei dir, fahre dein Tempo.“

In einem der nächsten giftigen Anstiege hole ich einen Fahrer ein und wir fangen an zu quatschen, denn ich habe Fragen. Er heißt Christian, ein Einheimischer, er ist mit leichtem Gepäck unterwegs. Keine Arschrakete, keine Lenkerrolle, wie geht das? Christian klärt mich auf. Er hat sein Schlafsetup (Schlafsack und Isomatte) und einige andere Dinge per Paket, dass wir vor dem Start abgeben durften, zum Depot bringen lassen. Nun versucht er die ersten 500km mit Powernapping zu überstehen und dann im Depot zu schlafen. Vom Depot aus nimmt er seine Schlafsachen mit auf die verbleibenden 500km bis nach Montreux. So wie Christian praktizieren das auch einige andere Fahrer, … ich nicht. Das Ende vom ersten Sektor ist nicht mehr weit, ich lasse in den Abfahrten gerne mal einen Tritt aus, Hauptsache sparen, die Sonne drückt. Eine weitere Erkenntnis, die sich mir bietet, sind die Brunnen am Wegesrand. Sie stehen in fast jeder Ortschaft und somit ist die Versorgung mit Flüssigkeit unkritisch. Nach weniger als 4h20min ist Sektor eins vorbei. Ein stattlicher 23er Schnitt produziert sich auf meinem Wahoo. Nach Sektor eins gibt es eine Wasserstelle bei Willi am Gartentor, betreut von Willis Frau und Tina. Hier schaue ich schon in ein paar ziemlich erledigte Augenpaare, die von Eile getrieben sich in den nächsten Sektor stürzen. Es ist viel zu schnell und schneller wird es ohnehin nicht mehr.

 

Kulinarisches Fazit Sektor 1

2 Flaschen getrunken

4 Gels

„Es ist ein bisschen heiß.“

Essen: Fehlanzeige bisher

 

Sektor 2 - Heat of the moment – 100,3 km, 3001 Hm

Gerade mal 10% der Kilometer sind geschafft, doch das war nur Spielerei. Kurz nach der Wasserstelle ziehe ich mir am Bahnhof noch eine Cola, gleich weiter keine Zeit verlieren. Sektor 2 bringt schon mal mehr als 3.000 Höhenmeter auf die Waage, mein Mittelgebirgsgemüt braucht noch Anpassungszeit in den steilen Rampen. Essen und Trinken muss ich intensivieren, sonst gehen hier früh die Lichter aus. Allgemein ist der Verkehr im Peloton weniger geworden, nachdem das Feld etwas an Struktur gewonnen hat. Ich fühle mich etwas einsam, liegt das an den Streckenänderungen an Sektor 2 in den Tagen zuvor und bin ich vielleicht falsch? Kurz nach eins am Mittag, meine Frau fragt mich nach meiner dienstlichen Telefonnummer. Puuh, das wird schwierig, ich könnte gerade meinen Namen nicht aufschreiben. Zwanzig Minuten später schreibt sie mir, dass ich gerade auf Platz 3 liege. Zum Glück lese ich das nicht, denn just in diesem Moment attackiere ich ein Strava Segment. Muss das sein? Sicherlich nicht, doch ein Strava-Ultra erwartet ein Segment von mir, ohne dass ich nicht nach Hause kommen darf. Und selbst hatte ich mir auch „besonders Schönes“ rausgesucht: „Hope1000 [Chümibarren]“ mit 16,6 Km und 527 Höhenmetern. Wie üblich brettere ich voll rein, selbst im ruppigen technischen Terrain bergauf versuche ich zu fahren. Aus dem Steilstück raus muss ich etwas schieben, aber hey nach ca. 20-25min liege ich mit einer knappen Minute Vorsprung auf Kurs. Über ein leicht steigendes Hochplateau ekel ich mich voran, doch das war es dann auch. Eine sportliche Dreiergruppe überholt mich und ich spüre die Wärme. Die ersten Viehgatter und Weidezäune bremsen mich noch mehr. Da eine Hütte mit süßer Zuckerplembe im Angebot. Zweimal Cola bitte, macht 9 Schweizer Franken, ich gebe 10, was soll der Geiz. Das Segment läuft mir schon lange davon, dafür bleiben mir noch 500 verwurzelte Meter zu Fuß empor zur nächsten Hügelspitze. Mit 17min Verspätung rolle ich auf Platz 16 der Strava Wertung über den Segmentzielstrich. Trotz Cola geht es mir nicht gut, ich hatte schon Gänsehaut in diesem Abschnitt, gut möglich, dass ein Sonnenstich hier im Anflug war. Die Abfahrt nach Wattwil habe ich vergessen, vermutlich das Alter. Mein Wochenendeinkauf mache ich in einer Tankstelle in Wattwil. Mit Hunger einkaufen gehen, ist nicht wirklich förderlich, da hätte ich auch einen Siebenjährigen losschicken können.

Neun Stunden sind vorbei, 160km habe ich auch gesehen und im nächsten Anstieg über mehrere Stufen frage ich mich, wie ich auf den verbleibenden 840km mit Krämpfen klarkomme. Meine Antwort bleibt aus.

Es ist so erstaunlich, wie wunderbar, denn hin und wieder finden sich Anfeuerungssprüche auf der Straße oder auch Menschen, die einfach mal im Wald stehen und uns Zuspruch spenden. Bei Kilometer 175 wartet ein junges Pärchen, ihre Namen habe ich vergessen oder gar nicht danach gefragt. Diese Form der Unterstützung ist mir wichtig, deswegen halte ich kurz an und wir quatschen. Toll, das hat mir Freude bereitet. Für beide noch ein Fäustchen zum Abschied und weiter. In der Abfahrt ein Insekt im Mund oder war es ein Stich in die Lippe, macht euch keine Sorgen ich bin wie Chuck Norris und kaue Bienen. Sektor 2 beende ich in Stein, kurz vorher noch Kinder an einem Bach im Wasser spielen gesehen. Tausche Fahrrad gegen Schwimmring! Keiner schreit: Hier. In Stein gibt es einen kleinen Laden. Nur leider benötige ich hierfür ein Onlinekonto für die Abrechnung. Dann kaufe ich eben nichts, gegenüber ist ein Brunnen. Es können halt nicht alle satt werden.

 

Kulinarisches Fazit Sektor 2

7 Flaschen

0,5 Snickers

1x Carazza

3x Cola

1x Fanta

1x Kakao

1x kleiner Multivitaminsaft

6x Gels

 

paar Krämpfe

 

Sektor 3 - Prince of Hope - 97,29 km, 3220 Hm

Viele tun es schon, manche schwören darauf, nur ich bin da nicht dabei. Und was isses? Waxing. Nein nicht die Bikinizone, sondern die Kette. Was für einen immer größer werdenden Teil, der sich im Zweiradgenre befindlichen Schiffsschaukelbremser ein Must-Have ist, schmiert mich wenig. Wen wunderts, schließlich fahre ich auch erst seit knapp zwei Monaten eine 11-fach Schaltung am MTB. Warum ich das erzähle? Nun ja, die Antriebsgirlande hat nach zwei Sektoren Bedarf an Pflege und ich lasse dann mal die gute Rohloff-Flasche rumgehen.

Rein in Sektor 3 mit einem Anstieg. Was sonst, ist ja kein Beachrace. Es geht langsam und gleichmäßig aufwärts. Das letzte Drittel lauf ich dann überwiegend, hier bekomme ich die Kurbel nicht rum. In der Abfahrt fotografiere und filme ich Kühe für meine Frau, das war ihr Wunsch. Dann eine lange Abfahrt, die zum Nachdenken anregt, der Tag war schwerer als ich es mir vorgestellt habe. Ich brauche jetzt eine seriöse Mahlzeit und das mit einer langen Nacht auf dem Rad muss ich mit mir selbst noch einmal auswürfeln. Nach: „Ten gels a day keep the apple away“, organisiere ich mir in Niederurnen eine Pizza, die ich dann genussvoll an einem Brunnen im Ort verzehre. Hier fällt auch die Entscheidung, diese ständige Rumfahrerei an diesem Tag nicht unnötig in die Länge zu ziehen. Im Post-Pizzaanstieg überhole ich Andy aus der Schweiz und einem Belgier. Peu a peu knabbere ich diesem Hügel seine 1000 Höhenmeter ab, das Denken stelle ich überwiegend ein, ich will ja auch keine Gedanken verschwenden.

Knapp zwei Kilometer vorm Gipfel muss ich dann doch noch einmal denken, denn auf dem Weg vor mir taucht ein Lichtlein auf. Da ich rasch näherkomme, muss da wer oder was stehen. Da steht jemand wie ein Eimer, es ist einer von uns. Ich komme näher und erkenne ihn, wir haben uns heute schon zwei- dreimal gesehen, nur gesprochen haben wir noch nicht. Sein Name ist Prince und er kommt gebürtig aus Hongkong, lebt und studiert jetzt in Regensburg, ach er ist erst 21 Jahre alt. Ziemlich ausgelutscht hängt er überm Lenker, seine Flaschen sind leer. Ich gebe ihm ein Gel und motiviere ihn zur Weiterfahrt. Für eine kurze Zeit sind wir nun eine Reisegruppe. Wir stoßen auch schnell auf einen Hof kurz vor der Kuppe, wo er seine Flaschen auffüllen kann. Jetzt wird es interessant! Um die Kühe bei Laune zu halten ist über dem Brunnen ein Elektrozaun gespannt. Prince hängt sich über den Zaun und bekommt eine gewischt. Er probiert seine Flasche unterhalb des Zauns zu füllen und … na klar, er bekommt eine gewischt. Sein Körper ist so ausgelaugt, dass er es nicht schafft seinen Körper ruhig zu halten, um die Flaschen zu füllen und den Kontakt zum Zaun zu vermeiden. Eine Mischung aus Unterhaltung und Verwunderung durchströmt meine Wahrnehmung. Passiert das gerade wirklich? Das Schauspiel wiederholt sich noch ein paarmal, bis er mich fragt: „Ist das ein Elektrozaun?“ Meine Antwort: Ja:

Andy aus der Schweiz und der Belgier kommen nun auch an die Wasserstelle. Noch wenige Meter im Rinderslalom bis zum höchsten Punkt dieses Anstiegs, dann verschlingt uns schon ein Rumpeltrail. Unser belgischer Mitstreiter kennt weder Furcht noch Fliehkräfte und verschwindet gen Tal. Andy und Prince stellen mich dann auch irgendwann ab, passt schon. Im kleinen Städtchen Siebenen treffe ich Andy wieder, der mir nach der Hälfte des nächsten Anstiegs eine Immobile für die Nacht empfiehlt. Drei Wände, ein Dach und landwirtschaftliches Gerät auf dem Nachttisch lassen mich nach 253km am ersten Tag gut einschlafen. Ein Lebenszeichen schicke ich, wie bei der Vorbesprechung am Freitag gewünscht, an Tina im Rennbüro. Mit Absicht stelle ich mir nicht den Wecker, um mich von den Strapazen des ersten Tages wirklich zu erholen. Ob das funktioniert?

 

Uhh, ging dann doch etwas lang. Nach knapp 5h Schlaf ist die Nacht zu Ende, aber ich bin frisch. Seriöse Schlafpausen sind eine neue Erfahrung für mich bei dieser Art von Veranstaltung. Meine Gedanken sind wieder voll bei der Sache und selbst die Beine haben Spaß bei der Arbeit.  Aus den Top Ten bin ich somit raus – was solls, wir fahren ja noch ein paar Tage.

Dominic habe ich jetzt auch schon länger nicht mehr gesehen, das hole ich bis zum vorletzten Gipfel von Sektor drei nach als ich ihn auffahre. Und wieder, eigentlich ist das Hope 1000 eine Bikepacking-Ausfahrt und kein Rennen. Ich merke den Wechsel immer wieder. Mal fahren wir zügig um den See, dann halten wir an einem Hotel an und fotografieren unsere Luxuskörper vor den Bussen der Worldtour-Teams Visma und Jayco Alula (Dominic wollte kein Bild mit Jayco, er fühlt die dort bewegte Radmarke nicht so). Im Anschluss noch lecker Frühstück beim Bäcker in Einsiedeln, nur um dann wieder drauf zu latschen.

Ein letzter richtiger Anstieg in Sektor drei, in dem ich einen weiteren Mitbewerber und auch Volker ein-/überhole. Volker hat die Verpflegungsstrategie schlechthin. Er hat sie schon am Freitag beschrieben, doch jetzt berichtet er von ersten Erfahrungen. Volker nimmt Kartoffelbrei von Decathlon für die Reise, schmeißt Proteine und Mineralien nach Bedarf in die Tüte, kippt Wasser drüber und erhitzt das Ganze mit seiner Körperwärme, um es im Anschluss zu verspeisen. Ich musste lächeln als Volker mir davon erzählte und ich lächle wieder, als ich es aufschreibe, großartig diese kleinen Episoden.

Was noch folgt ist die Abfahrt nach Schwyz zum Abschluss von Sektor 3. Die Schweizer Bergbewohner fahren ihre Berge mit dem Auto auf Angriff. Mehr als einmal ist es knapp zwischen einem Auto und mir, nix passiert. Volker hat weniger Glück und wird getroffen, das Hope ist für ihn leider vorbei, aber es nichts Gravierendes passiert, wie er mir später schreibt.

 

Kulinarisches Fazit Sektor 3

1x Pizza

2x Gebäck

7 Flaschen

1x Bifi

2x Cola

1x Rivella

 

10 Weidegatter durchquert

 

Sektor 4 - Auf einen Plausch bei Peter und Ruth - 104,33 km, 2786 Hm

Trüb ist es, nicht im Kopf, aber in Schwyz. Ein leichter Nieselregen kündigt sich an und benetzt meine zarte Haut auf dem Weg entlang des Vierwaldstättersees. Zugegeben bis zum ersten richtigen Anstieg ist das sehr langweilig auf der Straße im Verkehr mitzurollen. Doch die folgenden 7,3km mit 10% im Schnitt sorgen für Tonus im Bewegungsapparat. Der Regen macht die Sache noch schwieriger, denn im Anstieg muss ich die Haarnadelkurven jetzt anbremsen, um nicht zu rutschen. Nur Spaß. Der Regen tut ganz gut. Endlich wird das zu einem Sitzpolster geformte Frottee mit Wasser durchnässt und nicht, … ach reden wir nicht drüber. Nach 70min bin ich oben, mit einem Schnitt von 6,3km/h. Unterwegs haben die Anwohner Motivationssprüche auf die Straße geschrieben, von irgendwoher nicken mir Menschen zu, ich mag das hier! Über den Gipfel hinweg habe ich Marco eingeholt und im Downhill auch gleich wieder verloren. Marco wird mir die nächsten Tage noch öfters begegnen, er will ein letztes Mal beim Hope fahren.

Im Tal muss ich mich sputen, denn die Tour de Suisse rollt durch Steinen. Das war ein Punkt im Briefing am Freitag, dass bei schlechtem Timing wir warten müssen, bis die Straßenprofis durch sind. Viele sachkundige Zuschauer sind auch vor Ort. Hier wird auch nur beklatscht, wer Leistung bringt, ich werde ausgelassen.

Im Einstieg zum Anstieg Wildspitze überhole ich erneut Marco, weiter oben im Ort fülle ich die Flaschen mit Wasser auf, ergänzt durch Maltodextrin. Weißes Pulver im Frischhaltebeutel neben den Trinkflaschen, macht den Anschein vom gut sortierten Koksdealer in freier Wildbahn. Nur zweihundert Meter weiter hat noch ein Geschäft geöffnet. Aus einer Sitzecke heraus fragt mich ein Einheimischer, ob ich denn auch das Hope fahre? Ich verweile einen Augenblick, bestätige seine Annahme und wir tauschen uns kurz aus. Er erzählt davon, dass sein Arbeitskollege aktuell auf Platz vier liegt. Ein kurzer Gruß zum Abschied, bevor ich mit Erdbeermilch und Gummibären in dieses aus Serpentinen geformte Ekelding von Berg starte.

Es dauert von ganz unten bis zum Gipfel mehr als zwei Stunden. Jeder einzelne Pedaltritt lutscht mir die Kraft aus den Beinen. Die Schweißtropfen, die über meine Arme bis zu den Händen kullern und schließlich vom Lenkerende auf die Straße tropfen, legen eine salzige Spur. Um mich herum fahren Menschen mit einer auffälligen Lässigkeit. Wie mich das ankotzt, diese übertriebene zur Schau gestellte Leichtigkeit auf den E-Bikes, unterdessen meine Kniescheiben nur von der darüberliegenden Haut daran gehindert werden auf die Straße zu purzeln. Kurz vor der Abfahrt ist es noch Zeit die Bremsbeläge am Hinterrad zu wechseln. Zwei Fehler begehe ich dabei. Erstens, ich vergesse bei der Weiterfahrt meinen Spanngurt, der meine Arschrakete in Position hält. Zweitens folgt in Kürze.

Mit Sektor vier sind die härtesten Anstiege durch, hin und wieder werde ich von Einheimischen angefeuert. Über saftig grüne Wiesen hinweg schlängelt sich der Weg, als ich bei der Benutzung der Hinterradbremse ein Klingen vernehme, dass mir gar nicht gefällt. Bremsdruck am Hinterrad ist gerade auch nur ein unschuldiger Wunsch. Splint und ein Bremsbelag haben sich verabschiedet. Den Stift habe ich wohl vergessen zu sichern, Fehler 2. Dann noch einmal neue Beläge und am Vorderrad grinst mich der Schlauch ganz dezent durch die Reifenflanke an. Das mache ich später.

Urplötzlich gibt es so eine Halbüberraschung. Im Vorfeld hatte ich es schon auf Bildern gesehen und jetzt stehe ich hier, vor der Tür von Peter und Ruth. Im Fußball wären sie Ultras, beim Hope sind sie zwei unglaublich feine Menschen, die uns bei der Fahrt quer durch die Schweiz liebe Worte und einen leckeren Snack schenken. Im Vergleich zu Mitbewerbern zögere ich nicht und setze mich zu Ihnen. Es gibt Brühe, einen Kuchen, der Weihnachten ankündigt plus andere leckere Kleinigkeiten. Peter hat das Hope selbst schon diverse Male bestritten, Ruth hat auch schon fast alle Sektoren mit dem Rad bereist. Sie sprechen mich sofort mit Namen an, das Live-Tracking läuft in diesem Haushalt im Power-Play. Sie verpflegen alle die kommen und etwas benötigen. Wenn Sie unter der Woche auf Arbeit sind, bereiten sie alles vor, so dass jeder Teilnehmer diesen Snackmoment genießen darf. Nach ca.15 Minuten muss ich mich dann doch mal losreißen, den aufkommenden Regen möchte ich nicht verpassen.

Durch ein langes abschüssiges Tal mit vielen Tagestouristen rolle ich nach Baar, wo die Wetterhölle dann endgültig losbricht mit Hagel, Starkregen und ganz viel Donner. Eine Holzbrücke mit Dach ist meine Zuflucht der Wahl. Dehnen, verpflegen und auf das kleine Loch am Vorderradreifen klebe ich ein Stück Schlauch mit Sekundenkleber, passt schon. Der Rest von Sektor 4 fliegt nach 45min Pause auf der Brücke locker dahin bis zur Coop-Tankstelle in Hochdorf.

 

Kulinarisches Fazit Sektor 4

7 Flaschen

2x Cola

1x Rivella

4x Gel

1x Carazza

1x Snickers

1x Erdbeermilch

1x Tüte Gummibären

2 Stück Weihnachtskuchen

1 Tasse Brühe

 

9 Weidegatter durchquert

 

 Wie geht es wohl weiter im Land der hohen Berge und ohne SchniPoSa? 

 

Strava Eintrag

Bildergalerie

 

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